War nachhaltiges Wirtschaften und die Beschäftigung mit dem Klimawandel in früheren Jahren noch nice-to-have, so ist es heutzutage ein Must-have im Risikomanagement. Es ist daher keine Überraschung, dass spätestens mit dem Pariser Abkommen zum Klimaschutz in 2015 Unternehmen, Gesetzgeber und Regulierer sowie supranationale Organisationen wie das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken in den Fokus vieler Überlegungen im Risikomanagement gestellt haben. Zentraler Akteur in diesem Kontext: die Versicherungswirtschaft.
Die zunehmende Bedeutung von Nachhaltigkeitsrisiken betrifft Versicherungsunternehmen gleich auf zwei Weisen. Einerseits stehen Versicherer selbst unter dem Druck, zum Beispiel im Kapitalanlagegeschäft, nachhaltiger zu werden. Andererseits gewinnen Nachhaltigkeitsrisiken aber auch im Underwriting immer mehr an Bedeutung. Die größte Herausforderung im Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken wird sofort deutlich, wenn man sich den verwandten Begriff der ESG-Risiken (environmental, social, governance) anschaut: Nachhaltigkeitsrisiken sind vielfältig und nicht abschließend definier- bar. Sie können durch externe Ereignisse wie den Klimawandel aber auch durch Fehler im Management innerhalb eines Unternehmens hervorgerufen werden. Zudem führt die Vielzahl an möglichen Risikoquellen zu einem großen Bedarf an Daten, die jedoch oftmals nicht in den Unternehmen vorliegen. Externe Datenanbieter und Ratingagenturen können diesen Mangel nicht immer beheben. Gerade für Industrieversicherer aber auch ihre Kunden ergeben sich somit mehrere Herausforderungen für den zukünftigen Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken.
Grundlage jedes Versicherungsgeschäfts ist die gegenseitige (ex-ante) Kenntnis des zu versichernden Risikos. Besitzt eine Seite zu wenige Informationen über ein Risiko, oder weichen die subjektiven Einschätzungen eines Risikos zu stark voneinander ab, so ist ein Risiko nicht versicherbar und das gesamtwirtschaftliche Optimum wird verfehlt. Im Kontext von Nachhaltigkeitsrisiken bedeutet dies zuallererst, dass Kunde und Versicherer ein gemeinsames Verständnis von den relevanten Risikoquellen besitzen müssen. Der potentielle Einfluss dieser Risikoquellen auf die Versicherbarkeit muss dann klar kommuniziert werden, werden Nachhaltigkeitsaspekte doch in Zukunft immer mehr Prämien beeinflussen und auch Ausschlüsse begründen. Die Grundlage der Entscheidungen zu Versicherbarkeit und Prämien sind Daten. Sicherlich mit die größte Herausforderung im Management von Nachhaltigkeitsrisiken ist das oftmalige Fehlen von Schadenhistorien und Erfahrungswerten zu Aspekten der Nachhaltigkeit. Während einzelne ESG-Faktoren wie zum Beispiel der CO2-Fußabdruck eines Unternehmens (mittlerweile und vergleichsweise) gut messbar geworden sind, werden andere Faktoren gerade auch aus den Bereichen soziale Verantwortung und gute Corporate Governance auch in Zukunft schwer quantifizierbar bleiben. Rating-Agenturen haben diesen Bedarf früh erkannt und unterstützen alle Akteure im Kapitalmarkt mit entsprechenden ESG-Ratings, auf deren Basis nicht nur Versicherer, sondern auch Banken die Entscheidungen über Geschäftsabschlüsse fußen. Doch wie zuverlässig sind solche Einschätzungen von Nachhaltigkeitsrisiken? Erste Forschungsergebnisse zeigen die grundlegenden Probleme in diesem Bereich auf: Verschiedene ESG-Ratings desselben Unternehmens liefern verschiedene Ergebnisse und messen somit verschiedene Dinge. Der Aufbau von entsprechenden Datenbanken sowie die Verbesserung der Messung von Nachhaltigkeitsrisiken wird daher eine zentrale gemeinsame Aufgabe für Versicherer, Industrie und Wissenschaft in den nächsten Jahren sein.
Eine weitere Herausforderung ist
schließlich die dynamische Entwicklung
des Komplexes Nachhaltigkeitsrisiken
in den nächsten Jahren. Ein Blick auf die
historische Entwicklung dieser Risikoart
zeigt, dass ein reines Abstellen auf
bekannte Risiken das Erkennen neuer
Gefahren verzögern kann. Während
vor der Jahrtausendwende ESG-Risiken
vor allem im Geschäft mit vermeintlich
anrüchigen Industriesektoren
wie der
Alkohol- oder Glücksspielindustrie
gesehen wurden, war der Klimawandel
eine entfernt wirkende Möglichkeit am
Horizont. Heutzutage sind die direkten
Folgen des Klimawandels ein zentraler
Treiber der Überlegungen im Management
von Nachhaltigkeitsrisiken.
Gleichzeitig sollte aber nicht nur auf die offensichtlichen Folgen wie Flut-,
Dürre- und allgemein Wetterrisiken
geachtet werden. Denn der Klimawandel
verschlimmert ein weiteres, schleichend
zu Tage tretendes Risiko für Unternehmen:
den Verlust an Biodiversität. Auch hier
können in Zukunft die Folgen gravierend
sein, sei es direkt durch die Beeinträchtigung
von Geschäftsmodellen (bspw.
in der Landwirtschaft), oder durch die
(ähnlich wie im Falle der CO2-Emissionen)
zwangsläufig sich verschärfende
staatliche Regulierung. Und: Das
zuvor beschriebene Problem einer
mangelhaften Datenlage ist in Bezug auf
Biodiversitätsrisiken noch gravierender.
Daher sollten Industrie, Versicherungswirtschaft
und Wissenschaft hier frühzeitig
den Handlungsbedarf erkennen
und gemeinsam nach Lösungen für das
Risikomanagement suchen.
Zusammengefasst lässt sich festhalten,
dass ein verantwortliches Management
von Nachhaltigkeitsrisiken all diese
Aspekte betrachten muss: Von der
genauen Definition und Identifikation
von Risikoquellen, über die Erhebung
und Verarbeitung relevanter Daten zur
Messung von Nachhaltigkeitsrisiken bis
hin zur vorausschauenden Prognose der
zukünftigen Lösung und Neuentstehung
weiterer Risikoarten.
Prof. Dr. Gregor Weiß
• Inhaber des Lehrstuhls für Nachhaltige
Finanzdienstleistungen an der Universität
Leipzig, External Academic Fellow am Centre
for Responsible Banking der University
of St. Andrews School of Management
und Gastprofessor für angewandte
Finanzwirtschaft an der Keio University, Japan
• Beschäftigt sich mit der Finanzstabilität
und Regulierung im Banken- und
Versicherungswesen, quantitativen
Risikomanagement und der Modellierung
von Portfoliorisiken
• Lebensweisheit: „Der sicherste Weg zum
Erfolg ist immer, es doch noch einmal zu
versuchen.“
• Einführungsvortrag und Diskussionsrunden-
Teilnehmer beim Industrieforum 2022:
„Wie nachhaltig kann die Versicherungs- und Finanzdienstleistungsbrache in der
Realität überhaupt sein?“
Das Bewusstsein für den Schutz von Umwelt und Klima ist innerhalb der vergangenen Jahre deutlich gestiegen. Entsprechend negativ fällt daher auch immer die Reaktion der Öffentlichkeit aus, wenn sich beispielsweise durch Brände, Explosionen oder Tankerhavarien Umweltkatastrophen ereignen. Schließlich verursachen jene Vorfälle Schäden, die für die Natur – und damit nicht selten auch für uns Menschen – oftmals sowohl gravierend als auch langfristig sind. Ereignisse infolge von Umweltrisiken können für Unternehmen daher neben finanziellen Einbußen, etwa durch Betriebsunterbrechungen oder auch Schadenersatz- und Strafzahlungen, insbesondere ernstzunehmende Imageschäden zur Folge haben. Gerade dies kann jedoch zur erheblichen Gefährdung werden, ist doch der gute Ruf für die meisten Unternehmen ein ganz wesentlicher Aspekt ihrer Geschäftstätigkeit.
WeiterlesenGlobale Erwärmung, extreme Wetterereignisse, Klimawandel – das sind Schlagworte, die die Medien, Politik und Wirtschaft, eigentlich die gesamte Bevölkerung, inzwischen sehr häufig beschäftigen. Und vor allem zunehmend Anlass zur Sorge bereiten.
Weiterlesen